Die Kaffeepausenidee im Hause Lüssi erinnert an „Die Feuerzangenbowle“ von Heinrich Spoerl. Aus der Idee von Oberst aD Robert Lüssi entstand jedoch kein Film sondern ein eindrückliches Projekt. Die rund 60 am Referat bei der OG Stadt Bern im November 2019 Anwesenden nahmen interessiert an diesem ungewöhnlichen Unterfangen teil und waren beeindruckt. So spannend und informativ hatten es sich wohl die Wenigsten vorgestellt: Die RS – heute und vor 40 Jahren.
Wer angenommen hatte, jetzt höre er eine Menge lustiger und weniger lustiger Anekdoten aus dem Militärdienst, der sah sich getäuscht. Das Ziel von Oberst Lüssi war, aufzuzeigen, dass es seit seiner ersten RS 1976 viele gute Veränderungen gab in der Armee, dass die jungen Dienstpflichtigen motiviert sind, und dass er mit seinen Vorträgen ein Zeichen setzen will gegen Medienberichte, die oft negativ und reisserisch die Armee darstellen. Er wollte mit Vorurteilen gegen die Jugend aufräumen. Es sei schwieriger ein Vorurteil zu zertrümmern als ein Atom, zitierte er Albert Einstein. Er würde über seine zweite RS dem Chef Operationen, KKdt Aldo C. Schellenberg, ausführlich Bericht erstatten. Der Referent hat das ganze Projekt vom ersten Tag an sorgfältig dokumentiert.
Oberst Lüssis Idee nahm Formen an. Bewilligt hat sein Experiment Bundesrat Guy Parmelin. Oberst Lüssi nahm am OT und an der Rekrutierung teil. Robert ist anschliessend in die RS eingerückt, in Payerne in die Ecole Aviation 81 mit dem Motto PA CAPONA. Er absolvierte nach 40 Jahren nochmals während rund acht Wochen die RS mit allem Drum und Dran. Keine Vergünstigungen, keine Sonderbehandlung wie Rücksicht aufs Alter oder auf den bereits erworbenen Grad. Seine erste RS absolvierte Oberst Lüssi noch unter den Gegebenheiten der Armee 61. Was früher in einem Eff-Sack und einem Rucksack Platz hatte, gleicht heute beinahe einer Expeditionsausrüstung. Beim Zimmerbezug stellte sich Oberst Lüssi den Kameraden vor und erklärte, weshalb er hier dabei sei. Es blieb ja nicht verborgen, dass einer der Rekruten schon etwas angegraut war. Er blieb auch bei den übrigen echten Rekruten nicht unentdeckt und der Schulkommandant klärte nach zwei Wochen die ganze Schule auf. Inzwischen war Rekrut Lüssi von den Kameraden voll akzeptiert. Rekr Lüssi spielte seine Rolle mit Bravour. Nein, er spielte sie nicht, er lebte sie. Es gab auch sehr positive und lobende Medienechos.
Er machte es sich nicht einfach. Da es sich unterdessen nicht mehr um einen Jux handelte, sondern sich zu einem veritablen Projekt gemausert hatte, bedeutete dies für Rekr Lüssi Mehrarbeit. Er stand jeden Morgen früher auf und führte ein Tagebuch. Er hatte im Vorfeld moderne Fragebogen in Deutsch und Französisch gestaltet, die er im Einverständnis mit dem Schulkommando zu Beginn der RS verteilte und am Schluss. Er wollte damit feststellen, wo und wie sich die Wahrnehmungen und Erfahrungen der Rekruten verändert hatten. Das Ganze wurde minutiös ausgewertet und er stellte es der Zuhörerschaft der OGB vor.
In der Freizeit diskutierte der ältere Rekrut mit den jungen Rekruten und diese fassten Vertrauen. Sie spürten, dass der erfahrene Kamerad im Interesse aller derzeitigen Rekruten handelte. Sie unterstützten ihn, denn manchmal lief er doch am Limit, bei den Ausmärschen, beim Sport. Er hat immer durchgehalten und erfüllt, wenn auch im hinteren Drittel. Er spürte keine Generationenbarriere. Einzig eine Zeitung der Romandie wies mit einer lustigen Karikatur auf diesen Punkt hin: einmal im Wald in einer Gefechtspause will Rekrut Lüssi der Gruppe ein Znüni anbieten, keiner schaute auf. Alle waren mit ihren Handys beschäftigt. Das gab ihm zu denken und er genoss Most und Wurst allein.
Sehr beeindruckt haben ihn am OT der tolle Einsatz der Moderatoren und die Gründlichkeit der Rekrutierung in Sumiswald. Rekr Lüssi musste etliche neue Abkürzungen lernen und eine neue Aufteilung der RS: zunächst Allgemeine Grundausbildung, dann ergänzende Grundausbildung. Hier war er lückenlos dabei. Die Fachausbildung, Wartung und Reparatur der Kampfjets und Super Puma, machte er nicht mit, denn hier fehlte ihm der zivile Berufshintergrund. Wieder voll dabei war er für einige Tage in der Verbandsausbildung und anschliessend in der Verlegung in Meiringen wo er im Kommandozug Dienst leistete, nun als Soldat Lüssi.
Die Auswertung der Fragen: Was ist noch gleich, was ist besser und was ist weniger gut als früher, brachte Erstaunliches zutage. Die geliebte und wichtige Feldpost gibt es immer noch. Das Soldsäcklein ist noch gelb. Die RS ist immer noch sozusagen die letzte Erziehungsphase nach der Schule. Es gibt noch Vorbilder, Abläufe, Befehle, Drill. Gleich geblieben ist auch die grosse Kameradschaft.
Was ist anders? Die neuen Gradbezeichnungen, die Informatik, Laptop sind Alltag, mit ihnen können ganze Ausbildungsmodule durchgearbeitet werden. Digitalisierung überall und nicht zu unterschätzen das Interkulturelle, denn viele Rekruten bringen mit ihrem Migrationshintergrund andere Kulturen, Religionen und Lebenseinstellungen mit. Es wird Rücksicht genommen bei der Verpflegung. Die Armee leistet einen wichtigen Beitrag zur Integration. Das Dienstbüchlein ist nicht mehr feldgrau. Man darf zwei Jokertage beziehen, d.h. Urlaub für die Erledigung ziviler Angelegenheiten. Sport geht weit über das frühere Morgenturnen hinaus und ist vielseitig geworden, wird auch mit Freude absolviert. Mit dem Haarschnitt wird auch kein Tamtam mehr aufgeführt. Da sind Frauen in der Armee! Nicht mehr die FHD, abgeschottet in eigenen Abteilungen, in nur wenigen Funktionen. Nein, die Frauen aller Grade sind in allen Waffengattungen integriert, so sie die Bedingungen erfüllen. Ihr Verhalten hat Rekr Lüssi als vorbildlich erfahren. Er ist ein Befürworter des OT für Frauen, und er unterstützt die Bemühungen, mehr Frauen für die Armee zu rekrutieren.
Was ist besser seit 1976? Ganz eindeutig das Essen! Kein Pflichtkonsum mehr, der hinunter gewürgt wurde und keine schwarze Schokolade mehr, die man erst essen durfte, wenn man schon tot war. Auch die Unterkünfte, die Hygieneverhältnisse sind besser, das Material, die persönliche Ausrüstung. Man müsse aber bedenken, unter welchen Voraussetzungen die Armee 51 und 61 geschaffen worden sind: es herrschte der Kalte Krieg und Vorratshaltung war ein Muss. Der RS-Start ist besser geworden, der Informationsfluss, die Weiterbildungsmöglichkeiten.
Was ist weniger gut? Auf der Erkennungsmarke, dem sog. „Grabstein“, fehlt die Blutgruppe, dabei könnte es bei einer Verletzung entscheidend sein, diese zu kennen. Aus den gemachten Umfragen ist leider festzustellen, dass es den jungen Leuten trotz guter Schulbildung eindeutig an Sprachkompetenz fehlt. Das gibt doch sehr zu denken. Das Gemeinsame fehlt wegen der starken Abschottung durch Handy. Die Soldaten singen nicht mehr, weder im Ausgang noch auf den Ausmärschen. Zur Frage, ob sie in den Zivildienst wechseln würden, schrieb niemand etwas von Gewissensgründen, was der einzige Grund sein sollte. Ab und zu hat sich tatsächlich einer überlegt, zum ZD zu wechseln. Zum Schluss noch etwas Spass: kaum mehr einer könne eine Krawatte wirklich selber binden!
Der Referent dankt allen Stellen, die ihm dieses Experiment ermöglicht haben. Und ja, er würde es jederzeit wieder machen! Er habe auch den Vorschlag zur UOS erhalten, der Herr Oberst. Schmunzeln ist nun erlaubt und der anschliessende köstliche Apéro wird voll genossen, jetzt hängt keiner am Handy, jetzt wird Kameradschaft gepflegt.
Four aD Ursula Bonetti
Redaktorin