«Es wird ungemütlich», war der ursprüngliche Titel des angekündigten Vortrages in der Einladung. Das schien die 127 Mitglieder und Gäste der OG Stadt Bern nicht abzuschrecken, im November 2025 im Saal des Äusseren Standes Platz zu nehmen. Georg Häsler ist Oberst der Artillerie. Zivil ist er Redaktor der NZZ, wo er treffsicher den Bereich Sicherheitspolitik (Sipol) verantwortet. Er denkt und schreibt deutliche und kritisch, und er schwimmt auch gegen den Strom.
Ein erstes Bild zeigt zwei US-Flugzeugträger im östlichen Mittelmeer, von je fünf Begleitschiffen eskortiert, um nach dem Oktober 2023 Iran und Israel in Schach zu halten. Das war ein starkes Zeichen: Noch einmal demonstriert die USA ihre Macht im Nahen Osten und auch in Europa. Heute liegt Europa an der Peripherie einer multipolaren Welt. Washington will sich auf den Indopazifik und die eigene Hemisphäre konzentrieren.
Wir sollten daran denken, wie wir unsere eigene Schweizer Armee aufstellen wollen. Der Schutz der USA hat nach dem Zweiten Weltkrieg 80 Jahre Frieden in Europa gebracht. Die heftig diskutierten hohen Zölle sieht der Referent als «Versicherungsprämie», die wir nun auch zu zahlen haben.
Auch die USA muss sich auf neue Herausforderungen ausrichten. Im Vordergrund steht der Machtanspruch Chinas. Am Shangri-la-Dialog, einer Sicherheitskonferenz in Singapore, ist die chinesische Delegation dieses Jahr nicht erschienen. Das deutet auf eine sicherheitspolitische Verhärtung hin. Auf der neuesten Karte der CIA ist Europa ganz klein oben am Rand. Auf der Grafik sind die Handelswege eingezeichnet. Eine neue Route führt nördlich über Russland. Dort spielt Grönland, das Engnis zwischen Grönland, Island und Grossbritannien, die GIUK-Lücke, eine geopolitische Rolle. Die aktuelle US-Administration betrachtet das abseits der Partei-Rheotrik ganz rational. Sie muss die Handels-Konkurrenz gegen China gewinnen.
Der Referent kommt auf seine Aussage zurück, wonach wir in Europa 80 Jahre lang von guten Handelsbeziehungen zur USA profitiert haben. Russland wird wieder zur Grossmacht, ohne Rücksicht auf die Ukraine oder auf Polen. Wir müssen die regelbasierte Ordnung in Europa bewahren. Ein Bild ist uns bekannt: Xi Jinping lädt die Autokraten dieser Welt an die Siegesparade 80 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg nach Peking ein. Unter den Gästen war unser alt Bundesrat Maurer, was für Schlagzeilen sorgte. Wir dürfen nicht vergessen, dass Freiheit Entwicklungsmöglichkeiten für alle bedeutet, nicht nur für wenige. Wie eine Folie zeigt, bestand 2021 die Hoffnung, die regelbasierte Sicherheitsordnung zu retten, ohne dass es einen Krieg gibt. Doch schon damals entwickelte sich die Lage Richtung Eskalation: Der russische Einmarsch in Georgien 2008, die Annexion der Krim 2014 oder der Krieg im Kaukasus waren bereits deutliche Vorzeichen einer neuen Machtpolitik.
Einen Tag vor dem Referat war Georg Häsler noch in Polen und in Litauen. Er ist erschüttert über die krassen Unterschiede auf den Flughäfen Vilnius und Zürich-Kloten. Polen erlebt Sabotage auf Bahnlinien und Strassen, Sperrzonen für zivile Flugzeuge. Man muss Umwege in Kauf nehmen. Dort wird der Krieg vorbereitet, in Zürich pulsiert das sorglose Leben. Wir stehen jedoch in einem hybriden Krieg, den die Bevölkerung nicht wahrnehmen will. Die Europakarte zeigt, was allein im September 2025 passiert ist. Die Drohnen über Polen sind nur eines von vielen Ereignissen. Auch ein Angriff mit weitreichenden Waffen auf den Alpenraum wäre problemlos möglich. Die Schweiz ist ein Schlüsselgelände im wirtschaftlich stärksten Teil Europas. So fliesst der französische Atomstrom durch unser Netz Richtung Deutschland. Wenn wir die Verantwortung für unsere eigene Sicherheit nicht übernehmen, werden wir zu einem Sicherheitsrisiko in Europa.
Das Spannungsfeld sind die Wertevorstellungen. Häsler ordnet die Welt in demokratisch-kooperative Staaten auf der einen Seite und autoritär-imperiale Staaten auf der anderen Seite ein, die sich entweder für Widerstand (Resilienz) oder Anpassung (Appeasement) entscheiden. Dazwischen gibt es «Schaukelstaaten» wie Ungarn. Polen ist derzeit die grösste Landmacht in Europa und rüstet auf. Es bilden sich neue Koalitionen. Deutschlands Parteien haben eine Schicksalskoalition, die allerdings weniger stabil ist, als es den Anschein macht. Trotz Streiks, Kriminalität und Skandalen gilt momentan Italien als stabilstes Land unter der Führung von Giorgia Meloni. Die Landkarte mit den D-A-CH Staaten erinnern an ein neues Buch von Mathias Vetsch: «Tiefer Dorn», der geografisch schmale Streifen Österreichs zwischen der Schweiz und Deutschland. Eine überaus spannende aber ganz und gar nicht gemütliche Lektüre.
Aus der Welt kehrt Georg Häsler zur Schweiz zurück. Die gefährlichste Möglichkeit wäre das Ende der regelbasierten Ordnung. Darüber gibt es in der Planung bis 2030 drei Szenarie. Auf der Zeitachse für die Schweiz wäre die günstigste Entwicklung die Stagnation, was dem Bundesrat aus finanzpolitischen Gründen natürlich gelegen käme, weil dann die Nachrüstung der Armee weniger dringlich ist. Im Szenario Konfrontation setzte die Landesregierung auf die Kooperation mit den militärischen Nachbarn. Das bedeutete aber nicht, dass wir uns einfach an einen stärkeren Partner anlehnen können. In eine militärische Kooperation müssen wir etwas einbringen, doch bedauerlicherweise haben wir gegenwärtig weniger Möglichkeiten, als nötig wären. Das gefährlichste Szenario ist die Eskalation, ein Zerfall der EU, eine Erosion Europas. Das muss uns sehr zu denken geben. Die Armee die wir haben, muss in der Lage sein, das Land zu verteidigen, inklusive operatives Vorgelände. Der Referent zählt die Fähigkeiten auf, die leichtsinnig aufgegeben worden sind: die Festungsminenwerfer, überhaupt die Geländeverstärkungen. Wir haben keine Luftverteidigung. Die Patriots sind bestellt, kommen aber später, weil die Schweiz auf ihrer Neutralität beharrt und die Ukraine nicht unterstützt.
Auch wenn es jetzt etwas emotional wird, die Forderung heisst: Wir müssen uns mit den Tatsachen auseinandersetzen. Wir brauchen einen Grundkonsens, was wir verteidigen wollen. Was bedroht uns? Was ist uns das wert? Wir müssen unserem Land Sorge tragen. Wir dürfen uns nicht spalten lassen wie die alte Eidgenossenschaft. Wir sind alle herausgefordert, über die Schweiz und die Armee zu reden. Es ist entscheidend, dass wir in den genannten Kategorien denken. Die Folien sind aufschlussreich und sagen sehr viel aus. Dieses Referat setzt einen einzigartigen Schlusspunkt zu den Referaten 2025, bei der OGB. Georg Häsler beherrscht Schreiben und Reden gleichermassen. Es war wirklich ungemütlich.
Four a.D. Ursula Bonetti
