Am 25. September 2024 erhielten die Mitglieder und Gäste der Offiziersgesellschaft Stadt Bern (OGB) im Hotel Kreuz Bern unter dem Titel «Cognitive Warfare / Kognitive Kriegsführung» einen vielfältigen Einblick in eine noch viel zu wenig bekannte und oft auch falsch verstandene Thematik. Demokratische Rechtsstaaten mit freien Medien wie die Schweiz sind durch kognitive Kriegsführung einerseits besonders gefährdet. Andererseits fehlen ihnen im Gegensatz zu Autokratien oder Diktaturen viele legale Grundlagen, um viele denkbare Präventiv- oder Gegenmassnahmen überhaupt ausführen zu dürfen.

Die Referenten Dr. Anita Noli-Kilchenmann und Dr. Martin Krummenacher sind seit vielen Jahren im Bereich Armeedoktrin des Armeestabs tätig. Aufgrund ihrer interdisziplinären Ausbildungshintergründe als Physikerin und Wissenschaftsjournalistin oder als Maschineningenieur und Psychologe umfasst ihr Aufgabenfeld die Analyse eines breiten Bedrohungs- und Gefahrenspektrums, um gemeinsam mit weiteren Experten aus Wirtschaft, Forschung und Verwaltung Doktringrundlagen für die künftige Ausrichtung und Fähigkeitsentwicklung der Armee zu erarbeiten.

Cognitive Warfare (kognitive Kriegsführung oder Kriegsführung um das Bewusstsein) ist eines dieser Themenfelder, welches bereits seit einiger Zeit bearbeitet wird. Recherchen haben gezeigt, dass Cognitive Warfare oft verwechselt oder vermischt wird mit psychologischen Operationen oder mit Informationskriegsführung. Die Referenten zeigten zuerst auf, was das Wesen und die Funktionsweise von Cognitive Warfare ist und wie sich dies vor allem auf der Wirkungsebene von den beiden anderen genannten «Operationsgebieten» unterscheidet. Danach wurde ein gesamtgesellschaftlicher Ansatz propagiert und versucht, Möglichkeiten aufzuzeigen, wie freie westliche Gesellschaften unter Einhaltung der Prinzipien der Meinungsäusserungs- und Meinungsbildungsfreiheit dieser Bedrohung dennoch begegnen können.

Cognitive Warfare: Wie TikTok & Co. Demokratien bedrohen.

Subtile Beeinflussungsstrategien, unterstützt durch Social Media und künstliche Intelligenz, werden zur Manipulation von Bevölkerungen verwendet.

«Russland beeinflusste die US-Präsidentschaftswahlen 2016», das stellte der im Jahr 2018 veröffentlichte Untersuchungsbericht des US-Senats fest. Die russische Trollfabrik «Internet Research Agency» erstellte Tausende gefakte amerikanische Konten auf Facebook, Twitter, YouTube, TikTok und Instagram. Indem Trolle sich für Bürgerrechte stark machten und andere rassistische oder ultrakonservative Inhalte verbreiteten, wurde die Gesellschaft zunehmend polarisiert.

Und das ist kein rein amerikanisches Phänomen. Gemäss dem «Taiwanesian Institute for National Defence and Security Research» versucht China seit Jahrzehnten, die taiwanesische Bevölkerung zu spalten, die Legitimität der Regierung zu untergraben und eine pro-chinesische Haltung zu fördern. Bei den Wahlen Anfang 2024 wurde gezielt via Social Media jüngeren Taiwanesen Wohlstand und Erfolg dank Annäherung an China versprochen, während älteren das Bild einer korrupten Regierungselite vermittelt wurde. Damit erhielt die pro-chinesische Partei Taiwans einen Stimmenzuwachs von jüngeren Hoffnungs- und älteren Protestwählern. Aber dies sei gesagt, es hat nicht gereicht – wenigstens diesmal noch nicht.

Neue «alte Wege» oder Sun Tzu’s «Weicher Kampf»

Grundsätzlich ist dies nichts Neues. Bereits im antiken China (um 500 v. Chr.) postulierte Sun Tzu das Prinzip «Siegen, ohne zu Kämpfen». Der «weiche Kampf» sei vor dem Krieg der Waffen zu führen: Politik und Diplomatie, aber auch Propaganda und Desinformation schaffen optimale Voraussetzungen in den eigenen Reihen, aber das Gegenteil beim Gegner und seinen Verbündeten.

Dieses Prinzip findet sich heute überall, und die Mittel zu dessen Umsetzung wurden perfektioniert. China gründete gemäss Erkenntnissen der NATO von 1980 bis 2015 mehrere zivile und militärische Einrichtungen, die ein Netzwerk bilden und ihre Ressourcen gezielt bündeln; identische Bestrebungen wurden in Russland beobachtet.

Vor dem Internetzeitalter haben vor allem TV- und Radiosender oder Printmedien Desinformation transportiert, welche auf bestimmte Bevölkerungsgruppen ausgerichtet war. Heute werden grosse Anzahlen von Usern zusätzlich über Social Media-Apps mit manipulierter Information erreicht.

Cognitive Warfare: individualisiert, häppchenweise und unbewusst

Durch den Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) geschieht dies inzwischen auch individualisiert, weshalb die NATO von «Cognitive Warfare» spricht. Das Netz kennt unsere Vorlieben und Abneigungen, deshalb können mittels KI individuell angepasste Videos oder Texte generiert werden, und darin sind – oft nebenbei – subtile Botschaften eingebettet. Weil Smartphones Menschen jeden Alters «24/7 empfänglich» machen, findet ein regelrechtes «Brain Hacking» statt. Botschaften nisten sich häppchenweise und durch Dauerberieselung unbewusst ein. Es werden so Einstellungen manipuliert oder Vorurteile verstärkt und die Polarisierung von Gesellschaften vorangetrieben. Bleibt die Frage: was kann dagegen getan werden?

Ein Dilemma für westliche Demokratien

So hat Indien im Jahr 2020 Einschränkungen für 60 chinesische Apps und darunter ein generelles TikTok-Verbot eingeführt. In den USA ist das Installieren von TikTok auf Geräten der Regierung inzwischen verboten, gegen ein landesweites, generelles Verbot wie in Indien wehren sich Ultrakonservative und Bürgerrechtler aber gleichermassen: Ein solches Verbot wäre in den USA und in anderen westlichen Demokratien ein Angriff auf die Meinungsbildungs- und -Äusserungsfreiheit und rechtlich kaum zu begründen.

Paradoxerweise scheint das, was westliche Demokratien als existentiell und deshalb als besonders schützenswert erachten, für sie selber zur Bedrohung geworden zu sein. Es ist zu hoffen, dass das Bekanntmachen dieser Problematik viele Menschen wachrüttelt und zu einem bewussteren Umgang mit Social Media führt.

Anita Noli-Kilchenmann, Martin Krummenacher, Markus Brunner